Selbstfindung in Salento

Gestern zog ich nun zum zweiten Mal allein los und nahm den Bus von Cali nach Armenia und von da aus ein Collectivo in das Bergdörfchen Salento, das neben seinen vielen Kaffeefarmen vor allem als Tor zum Valle de Corcora bekannt ist. In beiden Transportmitteln waren ein Mann aus Spanien und ich die einzigen Backpacker unter Einheimischen und ich musste schmunzeln, als ich sah, dass der Mann immer abwechselnd im Lonely Planet und auf TripAdvisor nachlas, was man so in Salento machen kann, denn genau das hatte ich letzte Nacht ebenfalls gemacht. Als wir uns am frühen Nachmittag dann an der Bushaltestelle verabschiedeten, hätten wir deswegen eigentlich schon damit rechnen können, dass wir uns wenige Stunden später am Aussichtspunkt über der Stadt zum Sonnenuntergang wiedertreffen würden. So nett die Unterhaltung aber auch war, ist mein Spanisch für wirklich tiefgreifende Gespräche einfach nicht gut genug und deswegen war ich sehr dankbar, dass Salento die bisher touristischste Stadt in Kolumbien ist, die ich besucht habe und gefühlt auf jeden der 9000 Einwohner mindestens zwei Backpacker kommen. Während des atemberaubenden Sonnenuntergangs saß ich also am Aussichtspunkt auf einem Baumstamm zwischen meiner spanischen Reisebekanntschaft und einer Kanadierin, die witzigerweise genau wir meine kanadische Reisefreundin vor 20 Jahren Rachel hieß. Nun weiß ich nicht, ob es an der Herkunft oder am Namen liegt, aber es hat gleich Klick gemacht und wir haben zwei Stunden lang ohne Punkt und Komma geredet und waren beide ziemlich traurig, als wir uns verabschieden mussten, weil sie den Nachtbus in die nächste Stadt kriegen musste. Während ich also noch kurz im Dunkeln auf dem Berg saß und über diese nette Bekanntschaft nachdachte, setzte sich die nächste Frau vom Aufstieg schnaufend neben mich. Als ich zu ihr sagte, dass sie den Sonnenuntergang nun leider verpasst hat, grinste sie mich an und antwortete, dass sie ans Schicksal glaube und es dann wohl meine Bekanntschaft war, weswegen sich der Weg für sie gelohnt hätte. Das war so entwaffnend charmant, dass ich gar nicht anders konnte, als mit ihr einen Cocktail trinken zu gehen. Wie vorher mit Rachel aus Kanada verflog auch die Zeit mit Ariel aus Israel wie im Flug und ich konnte kaum glauben, wie spät es war, als wir uns verabschiedeten. Die Findungskrise der Kanadierin, die eigentlich Biologie studiert hat, aber seit Jahren lieber als Barkeeperin arbeitet und nun für die Liebe nach England zieht und Angst vor dem Sprung über den Teich und ins echte Berufsleben hat und die durch den Tod des besten Freundes durch ein Attentat traumatisierte Israelin haben mich von meiner eigenen Situation abgelenkt und mir einmal mehr bewusst gemacht, dass es genau diese spontanen und hochinteressanten Begegnungen sind, die mich das Reisen lieben lassen.

Heute morgen habe ich mir dann wieder allein einen Ausritt im wunderschönen Valle de Corcora gegönnt. Ein Vorteil des Alleinreisens ist, dass als Transportmittel nun auch wieder Mopeds eine Option sind und so waren schon die 15 Kilometer ins Tal ein aufregendes Abenteuer. Der Ausritt war dagegen sehr gemächlich, was die surreal wirkende Aussicht aufs Tal mit den vielen gar nicht in die Landschaft passenden bis zu 60 Metern hohen Wachspalmen allerdings kompensierte. Als ich nach drei Stunden vom Pferd stieg, stolperte ich doch tatsächlich direkt in Ariel und unsere Wiedersehensfreude war so groß, dass wir uns für abends gleich noch einmal verabredeten. In der Zwischenzeit wollte ich eigentlich noch zu einem Wasserfall wandern, aber ein langes Telefonat in der Nacht zuvor forderte sein Tribut und ich legte mich lieber mal kurz aufs Ohr.

Im Nachhinein bin ich dafür sehr dankbar, denn der Abend begann mit einem netten Abendessen mit Ariel und endete mit einem feuchtfröhlichen Tejo-Spiel. Dabei handelt es sich um ein in Kolumbien erfundenes und sehr beliebtes Spiel, bei dem man mit recht schweren Steinen auf einen Metallring im Sand zielt, auf dem kleine Papierdreiecke liegen, die mit Schießpulver gefüllt sind. Trifft man in den Kreis gibt es sechs Punkte, lässt man ein Dreieck explodieren drei und ansonsten bekommt der am nächsten am Ring liegende Stein einen Punkt. Es geht bis 21, was in unserer lustig zusammengewürfelten Gruppe aus einem amerikanischen Paar, meiner spanischen Busbekanntschaft, der anscheinend wirklich genau die gleichen Tipps im Internet wie ich gefunden hat, und Ariel und mir ein Abend füllendes Programm war, weil keiner richtig zählte und die Begeisterung für die kleinen Explosionen größer war als jeder Wettbewerbsgedanke.

Als ich nun müde, aber auch von den guten Unterhaltungen beseelt zurück in mein Hotel trottete, wurde mir bewusst, dass ich, obwohl ich es mir nie selbst ausgesucht hätte, auch nur einen einzigen Tag ohne Emma und Sophie auf dieser Reise verbringen zu müssen, mein altes, das Alleinreisen liebendes Ich wiedergefunden habe.

4 Gedanken zu „Selbstfindung in Salento“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert