Auf dem Forgotten World Highway zum Mt Taranaki

Nachdem ich in der Nacht eine ganze Rolle Klopapier als Taschentuchersatz weggerotzt hatte, kam ich heute morgen echt schlecht aus dem Bett und habe, während ich im Regen zur Toilette lief, das Campingleben mal kurzzeitig ganz weit weg gewünscht. Um mich noch ein bisschen auszuruhen und dann unser neues Lieblingsfrühstück Porridge zuzubereiten, habe ich die Mädels schon am Morgen den zweiten Teil des gestern begonnenen Films schauen lassen und gegen  zehn Uhr war ich fit genug für die Abfahrt. Inzwischen schien in Taupo die Sonne zwar wieder, aber der Wetterbericht versprach für das eigentliche Tagesziel Wakapapa, von wo aus wir die 2019 neu gebaute Gondel namens Sky Waka zum Mount Ruapehu nehmen wollten, Schnee und keine Sicht. Also mussten wir entscheiden, wohin es nun gehen sollte. Ich gab den Mädels drei Auswahlmöglichkeiten. Erstens ein Schwimmbad mit heißen Thermen in Taupo, wobei ich mich hier schon fragte, ob man mich da mit meiner Rotznase überhaupt reinlassen würde; zweitens die Fahrt nach Napier an der Ostküste, wo ich mir 2002 nicht nur einen Weisheitszahn habe ziehen lassen, sondern auch meinen Paraglideschein gemacht habe, was ich Emma gegenüber aus weiser Voraussicht mal lieber nicht erwähnt hatte; drittens die Fahrt zum Mount Taranaki im Westen, wo das Wetter ungewöhnlicher Weise besser sein sollte, denn vor 20 Jahren habe ich zweimal meine Mitbewohnerin aus Auckland, die für ihre Arbeit als Kostümdesignerin für den Film „The Last Samurai“, in dem der Mount Taranaki den japanischen Mount Fuji gedoubelt hat, nach New Plymouth gezogen ist, besucht und habe den Vulkan, der sich laut Maorilegende gern in einer Wolke aus Tränen versteckt, nicht zu Gesicht bekommen.

Völlig unbeeinflusst entschieden die Mädels sich für Option drei und so machten wir uns auf den langen Weg nach Westen und dabei musste ich an meine Freundin Tina denken, die mich 2003 in Neuseeland besucht hatte und mit der zusammen ich die Südinsel erkundet hatte. Sie hatte anderen Leuten nämlich damals immer erzählt, dass sie keine Extremsportarten wie Bungeejumpen, Fallschirmspringen oder Ähnliches bräuchte, da sie ihre tägliche Adrenalinzufuhr bei mir als Mitfahrerin im Auto bekäme. Obwohl ich diese Kritik damals gar nicht verstehen konnte, ging es mir heute selbst ebenso. Erst folgte ich Googlemaps, das mich direkt von den Huka-Wasserfällen um den See lotste, ohne dass wir Taupo noch durchquerten, wo ich eigentlich hätte tanken müssen. So verbrachte ich also die ersten 100 Kilometer schwitzend, ob wir es bis zu der weit und breit einzigen Tankstelle in einem Örtchen namens Manunui schaffen würden. Die Kinder wunderten sich schon, warum wir immer langsamer wurden, aber ihnen wollte ich den Adrenalinschub bzw. die Panikattacke bei der Tatsache ersparen, dass wir hier mitten im Nirgendwo, wo wir innerhalb der letzten Stunde höchstens drei andere Autos gesehen hatten, ohne Sprit stehen bleiben könnten. Auf den letzten Tropfen mit der Nadel schon ganz auf E für Empty rollten wir dann in eine unverschämt teure Tankstelle, wo ich das Wohnmobil vor Erleichterung etwas zu schwungvoll einmal drehte, weil der Tank sich an der Beifahrerseite befindet. Dabei stieg bei uns allen der Adrenalinspiegel wieder enorm an, blieb ich doch mit der Seite an dem gelben Metallbügel der Tankstelle hängen. Die Kinder konnte ich schnell mit einem Ben & Jerry‘s Eis beruhigen. Der Mann an der Tankstelle beruhigte wiederum mich, dass es ja keine Delle, sondern nur ein Lackschaden wäre und da ich keinen Empfang hatte, konnte ich eh erstmal gar nichts machen außer weiter fahren… mit einem jetzt giftgrün-lila-gelben Bus. Mit vollem Tank ging es dann also auf eine Straße, die den unheilvollen Namen „Forgotten World Highway“ trägt, der nicht treffender gewählt hätte werden können. Hatten wir vorher schon kaum Autos mehr gesehen, begegneten wir nun gar niemandem mehr. Die Bauarbeiten an der Straße schienen wohl auch vergessen worden zu sein und ein fast 20 Kilometer langes Stück der insgesamt 155 Kilometer war ungepflastert und voller Schlaglöcher, so dass das Geschirr im Wohnwagen ordentlich klapperte. Über große Strecken gab es nur eine Spur und oft schienen sowohl die wilden als auch die domestizierten Tiere die Straße für ihr Revier zu halten, denn wir sahen nicht nur Hasen, Fasane und ein fuchsähnliches Tier die Straße überqueren, sondern auch Ziegen, Schafe und Kälbchen, die sich durch die Zäune der riesigen anliegenden Weiden geschmuggelt hatten. Sophie stellte für mich völlig nachvollziehbar die Frage, wo denn eigentlich die Menschen wohnen würden, die sich um all diese Tiere kümmern, denn zwischen den grasgrünen, ungewöhnlich spitzen Hügeln war nirgends ein Haus zu sehen. Durchgeschüttelt kamen wir nach etwa zwei Stunden endlich an einen Parkplatz, sogar mit dem lang ersehnten und inzwischen dringend nötigen Klo. Dort parkte noch ein anderes Auto mit zwei jungen deutschen Frauen und während ich die Gurken und Karotten fürs Mittagessen schnibbelte, tauschten Emma und Sophie Reisegeschichten aus. Gut gestärkt machten wir uns dann auf nach Stratford, wo wir inzwischen schon routiniert unser Grauwasser abließen und unser Frischwasser auffüllten, denn am Fuße des Mount Taranakis wartete schon der nächste Freedom Camping auf uns, wo solche Vorbereitungsmaßnahmen unerlässlich sind.

Im Reiseführer steht, dass dieser Vulkan eine magnetische Wirkung auf alle Menschen hat, die ihn einmal erblickt haben und so war es bei mir heute definitiv, denn den ersten Blick erhaschten wir schon aus 60 Kilometer Entfernung und ich war völlig aus dem Häuschen, dass ich den lieben Mount Taranaki nun beim dritten Versuch doch endlich sehen konnte. Ab da begrüßte ich ihn nach jeder Kurve aufs Neue und die Kinder hielten mich für völlig verrückt. Als wir dann aber auf den höchst gelegenen Parkplatz und gleichzeitig den heutigen Übernachtungsort einbogen, begrüßten auch die Mädels ehrfürchtig diesen wunderschönen Vulkan, der sich uns in seiner vollen Pracht zeigte. Da es hier ordentlich frisch ist, zogen wir alle Schichten, die uns noch geblieben sind, übereinander an und machten uns auf, den Enchanted Track zu laufen, dessen Ausblicke wirklich verzaubert wirken, wären da nicht alle fünfzig Meter Rattenfallen, die zu Sophies Leidwesen schon ziemlich erfolgreich oft mehrere Exemplare gefangen und enthauptet hatten. Trotzdem konnten wir die Wanderung genießen. Zurück im Wohnmobil gab es ein leckeres Abendessen, bevor uns der fulminante Sonnenuntergang noch einmal hinaus lockte. Danach mussten wir uns unter der Decke warm kuscheln, aber der Wecker für den Sonnenaufgang ist schon gestellt.

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